Wein: So funktioniert Schmecken und Riechen
2. Mai 2016
Tausend Dinge sind dem Getast, Gehör, Gesicht gleichgültig, fast nichts aber dem Geschmack.“ Seit Jean-Jacques Rousseau diese kluge Beobachtung äußerte, sind einige Jahrhunderte verstrichen. Bis sich Wissenschaftler dem Phänomen des Schmeckens und Riechens näherten, brauchte es jedoch Zeit – schließlich blieb kaum einer unserer Sinne so lange und so wenig erforscht wie das Geschmacks- und das unmittelbar damit verknüpfte Geruchsempfinden. Vinophilen Feinschmeckern und Genießern dürfte es gefallen, dass sich daran unlängst eine Menge geändert hat…
Während der Mensch glaubt, zu schmecken, ist es tatsächlich und meist sein gut ausgeprägtes Vermögen, Düfte wahrnehmen zu können, das ihn zu diesem Genusserlebnis führt. Bis zu 4000 für den Menschen wahrnehmbare Duftkombinationen gibt es angeblich, währenddessen die Zunge nur eben zwischen süß, salzig, sauer, bitter und (das ist eine Erkenntnis jüngeren Datums) umami zu unterscheiden vermag. Theoretisch, denn im Rahmen einer in England durchgeführten Testreihe waren von 3000 Probanden nur 18 Prozent in der Lage, alle Geschmacksarten richtig zu erkennen. Ähnlich sieht es beim Riechen aus: Von den differenzierbaren Kombinationen der Grundgerüche muss ein Parfümeur etwa 1000 kennen, während der „normale“ Mensch mit mageren sechzehn zurechtkommt. Das sind natürlich schwer objektivierbare Werte, die von vielfältigen Faktoren abhängen wie etwa anatomischen oder physiologischen Voraussetzungen. Ein weiteres „Handikap“ liegt wohl in der Tatsache begründet, dass unser Sprachzentrum über Synapsen mit (beispielsweise) dem Sehzentrum verbunden ist, nicht aber mit dem Geschmackszentrum. Vielleicht ein Grund, weshalb uns oft die Worte fehlen, wenn es gilt, einen Geschmack zu benennen?
Glücklicherweise beschäftigt sich die Wissenschaft seit geraumer Zeit intensiv mit dieser Thematik und konnte uns unlängst die Gewissheit geben, dass sensorische Urteilsfähigkeit trainierbar ist: Mit der Publikation einer Studie der Fondazione Santa Lucia in Rom bestätigte Dr. Alessandro Castriota-Scanderbeg die Ergebnisse einer funktionellen Magnetresonanztomographie, mit der „es möglich ist, das Gehirn beim wachen Menschen ‚in Funktion’ zu beobachten.“ Die Deutsche Weinakademie in Mainz berichtet in ihrer jüngsten Ausgabe Vinomed: „Zur experimentellen Weinprobe legten sich jeweils sieben italienische Topsommeliers und nicht professionelle Weinliebhaber in den Kernspinapparat. Ihnen wurde in einer komplizierten Versuchsanordnung – im Wechsel mit einer fünfprozentigen Zuckerlösung – je ein Rot-, Weiß- und Dessertwein eingeflößt.“ Neben einem zweiphasigen Aktivierungsanstieg im Gehirn, der bei beiden Gruppen zu beobachten war, fand sich bei den Sommeliers „zudem in der Nachgeschmacksphase eine Aktivierung in einem weiteren Hirngebiet (…), die bei den Nichtprofis ausblieb. Die Interpretation der Befunde führt zu dem Schluss, dass die Sommeliers beim Weingenuss ein zusätzliches, rational-analytisches Handwerkszeug ihres Sensoriums besitzen, das sie sich durch Training angeeignet haben.“
Wunderbar, wenn sich also die Fähigkeit, Aromen zu differenzieren durch Übung optimieren lässt. Ob somit auch die hohe Gabe, genießen zu können, erlernbar ist? Zumindest haben wir die Gewissheit, ein weiteres Instrumentarium nutzen und verbessern zu können.