Autochthone Weine als Antwort auf einen globalen Weinstil?
5. Oktober 2015
Die Entstehung eines globalen Weinstils
Die Zahl der Rebsorten, die als „Global Player“ gelten, also auf dem Weltmarkt eine bedeutende Rolle spielen, beträgt heute kaum mehr als zwei Dutzend.
Die Top Five dürften Chardonnay, Carbernet Sauvignon, Grenache, Syrah und Merlot sein. Kritiker befürchten eine bedrohliche Reduzierung der Geschmacksvielfalt.
Doch damit nicht genug: Jede dieser Rebsorten kann durch standardisierte Ausbaumethoden, auf der ganzen Welt derselbe Geschmacksstempel aufgedrückt werden. Damit, so die Kritiker, entwickele sich so etwas wie ein globaler Weinstil. Und in der Tat gibt es die sogenannten „Flying Winmakers“ – Kellermeister mit großem Know-how, die um die Welt jetten, um z. B. dem Shiraz in Australien denselben Geschmacksstempel aufzudrücken wie dem in Südafrika, Frankreich oder Chile. Auch die technischen Möglichkeiten wie der Einsatz von modernen Reinzuchthefen, die bestimmte Geschmacksprofile hervorrufen können, leisten dieser Vereinheitlichung Vorschub.
Qualitätsbewussten Verbrauchern sträuben sich da sicher die Nackenhaare. Doch wer das Thema nüchtern betrachtet, wird nicht umhin kommen, die Gründe für diesen Trend auch einmal bei sich selbst zu suchen: Fast-Food-Ketten, die überall auf der ganzen Welt Hamburger produzieren, die – egal, wo man sie isst – gleich schmecken, sind auch das Ergebnis einer solchen Entwicklung. Bei aller Kritik muss man also bedenken: Viele Verbraucher wollen offenbar genau dies – und vor allem wollen sie es preiswert. Somit ist der Wunsch der Winzer ein Produkt zu haben, welches weltweit gemocht und gekauft wird und im harten Preiskrieg noch rentabel ist, durchaus verständlich.
Autochthone Weine – Marketinggag oder Philosophie?
Der Verbraucher möchte aber auch etwas anderes: Er möchte – und das gilt ganz besonders für Genussmittel – gerne einen individuellen Geschmack. Genau hier setzt der Gedanke an, sich wieder mehr auf sogenannte autochthone Weine zu konzentrieren. Der Begriff kommt aus dem Griechischen (autós = selbst, chthón = Erde) und meint Weine, die an Ort und Stelle entstanden sind und sozusagen als alteingesessen und eingeboren bezeichnet werden können. Die Idee, die hinter diesen Weinen steckt, ist die, dass autochthone Rebsorten an ihrem Ursprungsort über die Jahrhunderte genau die Eigenschaften ausgebildet haben, die für die Böden und das Klima der Region die richtigen sind, um so einen gebietstypischen Wein hervorzubringen.
Bildlich gesprochen sind autochthone Rebsorten wie Einheimische, die einem die Geschichte der Region viel spannender und authentischer erzählen können als es die Reiseleiterin aus einem anderen Land vermag.
Autochthon als neues Marketing-Schlagwort
Es liegt in der Natur der Sache, dass autochthone Weine nie eine solche Verbreitung wie die Global Player-Weine finden werden, denn ähnlich wie Bioprodukte können sie nicht einfach in großen Mengen produziert werden. Da sich aber Individualität gut verkauft, sind kluge Marketingstrategen inzwischen auf die Idee gekommen, dass man vielen auf der Welt im großen Stil angebauten Rebsorten einen, meist aber sogar zwei oder drei Entstehungsorte zuweisen kann, um sie dann flugs als autochthone Weine verkaufen zu können.
Auch andere Varianten, das Schlagwort „Autochthon“ gewinnbringend einzusetzen, sind vorstellbar. Alte Reben, aus denen Winzer keinen anständigen Wein zustande bringen – vielleicht auch, weil das Rebmaterial nur mittelmäßig ist – lassen sich möglicherweise mit dem Hinweis auf die „Gebietstypik“ unter dem Stichwort „Autochthon“ bald recht gut verkaufen.
Bei all den Bestrebungen um die Individualität des Geschmacks, der durch Schlagworte wie „Terroir“, „Autochthon“ und weitere Begriffe transportiert wird, darf man jedoch nicht vergessen, dass es auch anbautechnische und genetische Gründe gibt, warum bestimmte Rebsorten auf der Welt besonders verbreitet sind. Anspruchslose und unkomplizierte Rebsorten, die über die Jahre zudem genetisch optimiert wurden, bringen einfach gute Weine hervor und sind die Züchtungserfolge der Winzer. Entscheidend ist, dass der Winzer mit ihnen nicht wie bei der Herstellung einer Limonade verfährt, sondern bestrebt ist, einen individuellen Wein zu produzieren. Letztendlich ist es das, was zählt.