Zeitreise zum Wein
7. Oktober 2015
Ob Hospital oder Schule: Die Geschichte des imposanten Barockbaus in der Wormser Straße 49 im rheinhessischen Oppenheim spiegelt zugleich deutsche und lokale Geschichte wider. Seit 1980 bietet das geräumige Anwesen auf 5 000 Quadratmetern Ausstellungsfläche für die Geschichte des deutschen Weinbaus ein ebenso angemessenes wie repräsentatives Domizil. Die geräumige Inneneinteilung sowie die großzügigen Hofflächen bieten ideale Möglichkeiten, die facettenreiche Geschichte des Weinbaus, der sich in den vergangenen Jahrzehnten fast revolutionär verändert hat, darzustellen – gemäß der selbst gestellten Aufgabe des Museums die „Entwicklung des Weinbaus und aller damit verbundenen technischen Vorgänge einschließlich der Kellerwirtschaft in Deutschland, von den ersten Anfängen bis heute“ zu präsentieren: „Dieser Aufgabe dienen die umfangreichen Sammlungen von Werkzeugen, Maschinen, Geräten, Präparaten und Hilfsmitteln sowie die Ergänzung durch didaktische Mittel wie Karten, Grafiken und Fotos.“
Wer durch das historische Portal ins Museum gelangt, trifft auf 2000 Jahre Weinbau in Deutschland. Der Raum für die Darstellung kellerwirtschaftlicher Abläufe macht deutlich, wie die Technik auch Spiegelbild gesellschaftlicher Prozesse ist und wie umwälzend die Veränderungen vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg waren. Ein Entwicklungsprozess wird in der Präsentation sehr anschaulich dokumentiert, um dem heutigen Betrachter die schwere Arbeit nicht nur in den Weinbergen, sondern auch im Keller bei der Weinbereitung vor Augen zu führen: Mühsam wurde jede einzelne Flasche per Hand gespült, gefüllt und etikettiert. Eine zeitaufwendige und personalintensive Arbeit. Heute ist das unvorstellbar, dabei ist es noch gar nicht so lange her. Für Museumsleiter Hugo Bindereif, der mit Herzblut bei der Sache ist, werden bei der Führung unweigerlich nostalgische Erinnerungen an seine Jugend und den elterlichen Weinkeller wach.
Öfen für die Weinberge
Romantisch mutet die Nachtaufnahme von den Weinbergen mit brennenden Öfchen an. Das Motiv stammt nicht etwa aus einer gelungenen Veranstaltung von „Rhein in Flammen“, sondern aus einer frostigen Mainacht, in der sich die Winzer früher erfolgreich mit transportablen Feuerstellen gegen die niedrigen Temperaturen zur Wehr gesetzt haben. Die Weinberge, die sie damals „beheizt“ haben, existieren nur noch in der kollektiven Erinnerung.
[textbox title=“Info Weinbaumuseum:“]Deutsches Weinbaumuseum
Wormser Straße 49
55274 Oppenheim
Telefon 06133/2544
internet: www.dwb-museum.de
E-Mail: kontakt@dwb-museum.de
Öffnungszeiten: 1. April bis 31. Oktober;
Dienstag bis Freitag von 14 bis 17 Uhr,
Samstag, Sonntag und Feiertag von 10 bis 17 Uhr;
Führungen für Gruppen nach Vereinbarung.[/textbox]
Außergewöhnliche Exponate
Das Deutsche Weinbaumuseum bietet nicht nur einen interessanten Einblick in die Weinbaugeschichte, es kann auch mit Kuriosa aufwarten, die alleine schon einen Besuch in Oppenheim lohnen. Als einer der wichtigsten Vermittler zwischen Mensch und Wein zählt ohne Zweifel der Korkenzieher. Immer wieder wurde er durch die Phantasie zu neuen Formen gebracht und ist zu einem begehrten Sammelobjekt geworden. Das Ergebnis der Sammelleidenschaft von Museumsfreund Horst Böhme können die Besucher im Weinbaumuseum bewundern: Im breit angelegten Treppenhaus hängen fein säuberlich in Glasvitrinen geschützt rund 2 400 Korkenzieher unterschiedlicher Natur und Machart von klassisch bis keck.
Eine skurrile Besonderheit stellt eine Mausefallen-Sammlung dar, die zu den größten dieser Art in Europa gehört. Dass sie eine nicht ganz unwichtige Rolle im Weinbaumuseum spielt, liegt daran, dass auch die Winzer in den Weinbergen mit Mäusen und Ratten zu kämpfen haben, denen gerade die Wurzeln von Junganlagen zum Opfer fallen, wodurch viele Fraßschäden verursacht werden.
Selbst heute noch greifen die Winzer auf Mausefallen zurück, um den Einsatz von chemischen Bekämpfungsmitteln zu vermeiden. Die Oppenheimer Sammlung präsentiert neben dem Nachbau einer steinzeitlichen Falle auch aktuelle Typen aus dem In- und Ausland bis hin zu elektronischen Varianten, womit sich der Kreis technischer Entwicklungen auch in diesem Bereich schließt.
Wie ein Fass entsteht
In der Küferwerkstatt, die so anschaulich in Szene gesetzt ist, dass der verlockende Duft des Holzes in die Nase steigt, könnte man fast meinen, das Klopfen des Küfers beim Bereifen der Fässer zu hören. Die Exponate sind allesamt ein Geschenk der Küferzunft Oppenheim, die es dem Besucher erlauben, in die Welt dieses hierzulande fast ausgestorbenen Handwerks einzutauchen. Niemand wäre erstaunt, würde der Küfermeister gleich durch die Tür hereinkommen und weiterarbeiten, denn hier steht alles an seinem Platz. So lässt sich ein nahezu lückenloses Bild der Fassproduktion vom ersten Arbeitsschritt bis zur Fertigstellung verfolgen. Einst übernahmen die Römer die hölzernen Fässer von den Kelten. Erstaunlicherweise hat sich bis in unsere Zeit an der Grundform und Konstruktion kaum etwas verändert. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich eine eigenständige Zunft von Fassbindern, Küfern, Böttchern oder Schäfflern, wie sich die Handwerker in den unterschiedlichen Regionen selbst bezeichnet haben.
Einen breiten Raum im Museum nehmen auch die Themen rund um die Rebe ein: von der Erziehung und Ernährung bis hin zu Rebveredelung, Pflanzenschutz und Rebsorten. Der im ausgehenden 19. Jahrhundert aus Amerika eingeschleppten Reblaus ist eine eigene Abteilung gewidmet. Die Winzer standen diesem Schädling damals machtlos gegenüber – bis mit der Entdeckung amerikanischer Rebsorten, die gegen die Reblaus resistent sind, der Durchbruch in der Bekämpfung der Reblaus gelang. Eine Entwicklung, die im Museum anschaulich aufgezeigt wird.
Weinland Deutschland im Blick
Die Oppenheimer sind bei der museumspädagogischen Aufarbeitung und Präsentation von weinspezifischen Themen insbesondere jener Geschichte und Tradition verpflichtet, die sich mit den 13 deutschen Weinbaugebieten verbinden lässt. Neben einer dauerhaft gebotenen Gesamtdarstellung ermöglichen Einzelausstellungen hierzu eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Entwicklungen im Weinland Deutschland.
Die alltagsnahe Darstellung der Arbeiten im Weinberg, eine Traktorenausstellung oder die Nachbildung einer Weinbrennerei lassen den Besuch im Weinbaumuseum auch zu einem Familienereignis werden. Der Wein des Monats, der nach einem Rundgang angeboten wird, ist aber eher für die Eltern gedacht. Und über regen Besuch freut man sich in Oppenheim allemal. Ohne Zweifel werden hier Sammlungen und Ausstellungsstücke von einzigartigem Wert präsentiert. Die Liebe zum Thema ist präsent, doch die Geldmittel des von einem Förderverein getragenen Museums sind knapp. Hier könnten Überlegungen einsetzen, weitere engagierte Förderer zu finden und das Museum mit mehr Veranstaltungen und einem frischeren Erscheinungsbild lebendiger zu gestalten.
Mit freundlicher Genehmigung des Woschek-Verlages.